Mit ihrem Blick in die Vergangenheit beleuchtet die Retrospektive „Film und Protest – Volksaufstände im Kalten Krieg“ die filmischen Zeugnisse des Widerstandes gegen sowjetische Regime jenseits der propagandistischen Selbstinszenierung der Machthaber. Im Fokus des von Katharina Franck (Cinémathèque Leipzig) und Andreas Kötzing (Hannah-Arendt-Institut Dresden) kuratierten Programms steht die zeitgenössische filmische Dokumentation der Aufstände in verschiedenen Ländern des Ostblocks, die an der Zensur vorbei und der politischen Verfolgung zum Trotz entstanden.
Der Bogen spannt sich vom 17. Juni 1953, über den Aufstand in Budapest 1956, den „Prager Frühling“, bis zu den blutigen Unabhängigkeitskämpfen in den baltischen Staaten nach 1990. Zugleich nimmt die Retrospektive auch weniger bekannte Konflikte in den Blick, darunter die Massenproteste in Posen (1956) und den polnischen Arbeiteraufstand vom Dezember 1970.
„Die Volksaufstände und niedergeschlagenen Reformversuche ziehen sich wie ein roter Faden durch die Zeit des Kalten Krieges“, hebt Andreas Kötzing hervor. „In der Gesamtschau der Filme zeigt sich, dass die Protestbewegungen ein dauerhaftes Phänomen im Ostblock gewesen sind – und dass es für die Filmemacherinnen und Filmemacher sehr unterschiedliche Möglichkeiten gab, diese filmisch darzustellen.“
Das Spektrum der Retrospektive umfasst sowohl subversive Animationsfilme, ins westliche Ausland geschmuggelte Filmaufnahmen als auch ungewöhnlich direkte Filme, die nur aufgrund kurzzeitig gelockerter Zensurregelungen in Polen entstehen konnten. „Der Mut der Filmemacher*innen, die mit ihren heimlich gefilmten Aufnahmen oder subversiven Produktionen viel, manchmal sogar ihr Leben riskiert haben, zieht sich durch das gesamte Programm“, kommentiert Katharina Franck. Auch der westlichen Perspektive auf die Bewegungen im Ostblock, wie sie damals in den Medien ihren Widerhall fand, widmet sich das Programm.
Mit der Retrospektive reflektiert DOK Leipzig auch die eigene kontroverse Festivalgeschichte. Durch den zunehmenden Einfluss ideologischer Vorgaben auf die Programmgestaltung wurden kritische Auseinandersetzungen mit sowjetischen Regimen im Festival bis Ende der 1980er Jahre weitgehend ausgespart. Das diesjährige Programm präsentiert auch einige der Filme, die damals der (Selbst-) Zensur zum Opfer fielen, wie ein kubanischer Wochenschaubericht von Santiago Álvarez (1968), in dem sich Fidel Castro kritisch zum Einmarsch der Sowjets in Prag äußerte, oder Bohdan Kosińskis Film über die „Birth of Solidarity" (1981), der zu seiner Zeit auf westlichen Festivals zu sehen war, nach Leipzig jedoch nicht eingeladen wurde.
Den Auftakt der Retrospektive der 66. Ausgabe von DOK Leipzig machen drei Kurzfilme aus der Zeit des Umbruchs Ende der 1980er bis Anfang der 1990er, die am 9. Oktober im Rahmen des Lichtfests kostenfrei am Hauptbahnhof gezeigt werden.
Zwei Matineen knüpfen thematisch an die Retrospektive an. Mit dem Film „Wehe den Besiegten – Der 17. Juni 1953“ (1990) von Andrea Ritterbusch zeigt DOK Leipzig in der DEFA Matinee eine eindrückliche filmische Rekonstruktion des Volksaufstandes in der DDR mit Originalaufnahmen aus westlichen Archiven und direkt nach der Wende gedrehten Zeitzeug*innen-Interviews.
Die Matinee Sächsisches Staatsarchiv ergänzt den Themenkomplex mit einer kritischen Reflexion über die sogenannte „Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ und ihrer wechselhaften Geschichte zwischen Verbrüderung und Verklärung.
Das FilmFestival Cottbus (7.-12.11.) nimmt sich dieses Jahr ebenfalls dem Thema Widerstand gegen kommunistische Regime im Ostblock an. In der Filmreihe „Was von Geschichte übrig bleibt“ werden Spiel- und Dokumentarfilme zu Aufständen und Opposition in der sozialistischen DDR, Polen und Ungarn gezeigt. Mit dabei sind Filme von Andrzej Wajda, Márta Mészáros, Andrea Ritterbusch und Volker Schlöndorff.
Die Retrospektive von DOK Leipzig entstand in Kooperation mit der Cinémathèque Leipzig und dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden.
DOK Leipzig dankt der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der DEFA-Stiftung sowie dem Sächsischen Staatsarchiv für die Förderung und Unterstützung der Filmreihen.
Die gesamte Filmauswahl der hier vorgestellten Reihen finden Sie in der PDF-Datei der Pressemitteilung (siehe oben).