Michelle, 86 Jahre alt, ist eine ebenso eigensinnige wie anrührende Witwe und darüber hinaus die Großmutter der Filmemacherin Amélie Cabocel. Allein lebt Michelle in einem großen Haus in einer verlassenen Gegend Lothringens und ist sich vermutlich gar nicht bewusst, dass sie mit jeder Faser ihrer Existenz eine untergehende Zeit bezeugt. Als aber Amélie sie für ein Foto- und Ausstellungsprojekt gewinnen will, macht sie sich die Sache resolut zu eigen.
Die gemächlich vergehenden Tage vertreibt sich Michelle mit regelmäßiger und konzentrierter Lektüre der Traueranzeigen im Wochenblatt der Gegend, mit langen Telefonanrufen bei den wenigen verbliebenen „Cousins und Cousinen“ sowie dem geduldigen Blättern in ihren sorgsam gehüteten Fotoalben, in denen sich ihre Erinnerungen aufbewahrt finden. Übers Private hinaus sind diese Alben und Mappen aber auch eloquenter Fundus einer im Verschwinden begriffenen Alltagskultur. Als Michelles Enkelin, von diesem Material ausgehend, einen Film und eine Ausstellung entwickeln will, lässt sich die alte Dame anstecken und befeuert mit ihrer eigenwilligen Persönlichkeit das sowieso schon anspruchsvolle Vorhaben. „Forgotten Lands“ ist das bewegende Porträt einer Großmutter aus der vertrauten Perspektive einer Enkeltochter, zugleich aber auch kluge Reflexion des einzigartigen Vermögens der Fotografie, Echospuren gelebten Lebens aufzuzeichnen.
Ralph Eue